Der „Real-Time Search War“ rund um Twitter

Vor einigen Stunden verkündete Bing (Microsoft) auf dem Web 2.0 Summit in San Francisco einen non-exclusive Deal mit Twitter. Bing darf danach die Daten von Twitter in Echtzeit indexieren und für seine Suchergebnisse verwenden. Die Antwort aus dem Googleplex in Mountain View ließ nicht lange auf sich warten. Nur wenige Stunden später verkündete Marissa Mayer (Google Vice President of Search Products and User Experience) im offiziellen Google Blog, dass auch Google ein Agreement mit Twitter abgeschlossen hat. Schon vor einigen Tagen wurde bekannt, dass beide Suchmaschinen-Riesen mit Twitter verhandeln.

Normalerweise berichte ich in diesem Blog nicht über Suchmaschinen-News. Es gibt in diesem Bereiches genug andere Quellen. Die heutigen Nachrichten sind aber eine Ausnahme, weil sie perfekt die aktuelle Marktsituation wiedergeben, Markttrends verstärken werden und daher ideal für eine Analyse geeignet sind.

Neben der mobilen Suche ist die Echtzeitsuche (Real-Time Search) eines der wichtigsten Themen in diesem Jahr. Die Suche nach topaktuellen Informationen war bisher eine Schwäche von Google. Sucht man beispielsweise nach „iPhone“, „Bing“ oder „ HSV“, so findet man in den Top 10 die offiziellen Websites, vielleicht einen Eintrag von Wikipedia und ein paar Nischen-Websites. Diese Seiten enthalten aber nicht unbedingt ungefilterte und brandaktuelle Informationen.

Zwar werden über die Universal Search teilweise aktuelle Nachrichten von Google News eingespielt, aber auch diese Nachrichten sind meist schon einige Stunden oder Tage alt und wurden von den Redaktionen der Nachrichtenagenturen auf „Massentauglichkeit“ gefiltert. Dort erfahre ich nicht unbedingt zeitnah, dass kurzfristig der Preis für eine spannende iPhone App für 24 Stunden gesenkt wird, dass ComScore auf seiner Website neue Zahlen zu Bing veröffentlicht hat, oder wie die HSV-Fans am Sonntag zusammen mit Werder-Fans ins Ruhrgebiet reisen.

Bei Twitter findet man hingegen die hochaktuelle Tipps und Informationen, die von über 50 Mio. aktiven Twitter-Nutzern weltweit gesammelt werden. Der Twitter-Suchmaschine Topsy ist es gelungen, die Masse von Informationen gut aufzubereiten. Relevant sind nicht die aktuellsten Tweets (wir sprechen hier von Aktualisierungen im Minuten- und Sekunden-Rhythmus), sondern die Anzahl Tweets, die auf ein bestimmtes Ziel verweisen oder Tweets, die häufig retweeted werden. Auf diese Weise sieht man bei einer Topsy-Suche nach „iPhone“ nicht die belanglose Nachricht, dass Susi aus Dortmund jetzt auch ein iPhone besitzt, sondern z.B. ein topaktuelles Chart, wie sich das Datenvolumen des mobilen Internet durch die iPhone-Markteinführung entwickelt hat (How The iPhone Is Blowing Everyone Else Away), welches ich hervorragend für meine nächste Präsentation verwenden kann.

Topsy bietet dabei die Möglichkeit die Suche auf den vergangenen Monat, die letzte Woche, den letzen Tag oder sogar die vergangene Stunde einzugrenzen. Auf diese Weise kann man sich zu jedem Thema blitzschnell eine Übersicht zu den wichtigsten News verschaffen. Es entsteht also ein echter Mehrwert.

Beispiel: Topsy Real-Time Search nach iPhone
Beispiel: Topsy Real-Time Search nach "iPhone"


Der Google-Algorithmus war bisher nicht in der Lage solche Informationen, die hauptsächlich aufgrund ihrer Aktualität wichtig sind und die nur eine Lebensdauer von wenigen Stunden oder Tagen haben, zu identifizieren. Hierzu bedarf es der menschlichen Recherche und Auswahl von über 50 Mio. Twitter-Nutzern, der größten News-Redaktion der Welt. Diese Lücke kann durch die Twitter-Daten geschlossen werden.

Aber zurück zu den Nachrichten über Bing, Google und Twitter. Für mich sind heute alle drei Unternehmen Gewinner. Es gibt aber auch viele Verlierer im Markt. Schauen wir uns aber zuerst die Gewinner an.

Bing ist ein Achtungserfolg gelungen. Für ein paar Stunden hatte Bing die Nase vorn und konnte die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Verglichen mit der Zeit vor Bing ist das ein großer Erfolg für Microsoft. Bis 2009 konnte man von Microsoft immer nur lesen, dass in ferner Zukunft innovative Produkte geplant sind, während Google am laufenden Band verkündete, dass innovative Produkte umgesetzt und verfügbar sind. Microsoft lief Google immer hinterher. Mit Bing scheinen sie jetzt aufgeholt zu haben und Google zumindest hin und wieder ärgern zu können.

Twitter ist ein Gewinner, weil es gelungen ist non-exclusive Deals mit beiden Suchmaschinen-Riesen abzuschließen und somit die Eigenständigkeit zu sichern. Ohne einen vitalen Herausforderer wie Bing wäre Google in einer ganz anderen Verhandlungsposition gewesen und hätte wahrscheinlich mit seiner prall gefüllten Kriegskasse in Höhe von 22 Mrd. US $ Cash Twitter einfach geschluckt. So bleibt Twitter unabhängig und kann sich frei entwickeln. Gleichzeitig bedeuten die Deals eine gewaltige Steigerung der Aufmerksamkeit und Reichweite von Twitter. War Twitter bisher ein Instrument für “Internet-Nerds” wie mich, so werden die Tweets jetzt auf die Bühnen der großen Schauspielhäuser Google und Bing gehoben. Twitter ist damit auf dem Weg zum Massenmedium – ganz großes Kino für Twitter.

Aber auch Google ist ein Gewinner. Der Champion ist nicht träge geworden und weiterhin topfit und reaktionsschnell. Oft werden große und erfolgreiche Unternehmen satt, verpassen Innovationen und begnügen sich mit dem Mittelmaß. Anders Google – nur wenige Stunden nach der Attacke des frechen Herausforderers Bing schlägt Google zurück. Marissa Mayer sitzt nicht wie mancher Top-Manager in einem Luxus-Restaurant und feilscht um noch höhere Bezüge und Privilegien, während draußen die Welt sich weiter dreht. Vielmehr kontert sie höchstpersönlich mit einem Post im offiziellen Google Blog. Solange Google weiterhin so wach und reaktionsschnell bleibt, werden sie ihre dominante Marktposition erfolgreich verteidigen können.

Kommen wir zu den Verlierern. Zuerst fällt da natürlich der Blick auf die Spezialsuchmaschine Topsy. Die Twitter-Suchmaschine wird in wenigen Wochen ihren Mehrwert und im Wettbewerb zu Google somit auch ihre Daseinsberechtigung verlieren. Da Topsy in jüngster Zeit massiv durch Blog-Spam aufgefallen ist, finde ich diese Entwicklung nicht einmal schade. Vielleicht gelingt es ja noch den innovativen Suchalgorithmus für Tweets an Google zu verkaufen und somit zu versilbern.

Ein großer Verlierer sind auch einmal wieder die klassischen Medien wie Tageszeitungen und Zeitschriften. Während die Verlage die letzten Monate damit verbracht haben, sich über die angebliche Ausnutzung durch Google zu beschweren, haben sie wieder einmal die Chance verpasst, ein neues Medium wie Twitter für sich zu nutzen. Zwar sind inzwischen viele Verlage aktive Twitterer, aber sie haben nicht den nächsten notwendigen Schritt getan und Twitter auch als Nachrichtenquelle genutzt um das eigene News-Angebot zu ergänzen. Hier und da gab es dazu ein paar Ansätze, die jedoch alle daran scheiterten, dass sie nicht konsequent und mit den notwendigen Ressourcen betrieben wurden, um sich beispielsweise vor Spam zu schützen.

Bisher genießen die etablierten Zeitungen gegenüber anderen Websites einen großen Vorteil bei Google, auch wenn sie sich ständig beklagen. Sie erhalten einen hohen Vertrauensvorschuss in Form des „Source Rank“, so dass ihre Nachrichten Google News dominieren. Dieser Vorteil, der den Websites der Zeitungen viele Besucher über Google beschert, wird in Zukunft schmelzen.

Mit der Integration von Twitter wird es bei Google eine Alternative zu Google News geben, die in vielen Fällen die besseren Ergebnisse liefert. Bei der Real-Time Search haben die Verlage aufgrund ihres großen Namens keinen Vorteil gegenüber anderen Quellen wie Blogs, Unternehmenswebsites oder privaten Internetauftritten. Die Twitter-Community übernimmt in Verbindung mit einem intelligenten Suchalgorithmus einen wichtigen Teil der Arbeit von Redaktionen: die Auswahl und Gewichtung der News. Bei Twitter-Nutzern zählt aber nicht hauptsächlich der Ruf der Nachrichtenquelle, sondern eher die Kernwerte “Qualität” und “Aktualität” der Nachricht. Die Nachrichtenauswahl wird demokratischer werden. Wie schon bei der Suchmaschinenoptimierung für den originären Index werden bei der Real-Time Suche diejenigen Player gewinnen, die das System verstehen und für sich nutzen.

Dieser Prozess findet sicherlich nur schleichend statt, wird aber nachhaltig sein. Ein Twitter-Nutzer mit vielen Followern wird bei der Echtzeitsuche einen ähnlichen Einfluss haben wie etablierte Medien. Wohl den Verlagen, die sich in der Vergangenheit intensiv mit dem Thema Social Media auseinandergesetzt haben und starke Twitter-Profile aufbauen konnten. Viele Verlage werden den Herausforderungen der Real-Time Search nicht gewachsen sein und weiter an Boden verlieren.

Besonders gespannt bin ich auf das Ergebnis der Integration von Twitter-Daten bei Google. Die Kombination der Twitter-Daten mit dem Seach-Know-How von Google versprechen spannende Ergebnisse.

Zu guter Letzt freue ich mich natürlich darüber, dass SEOs eine neue Spielwiese gewinnen. Let`s play!

7 Gedanken zu „Der „Real-Time Search War“ rund um Twitter“

  1. Sehr gute Analyse, wobei Aktualität und retweets nicht vor den klassischen hoaxes schützen. Da fehlt imho noch ein relevanter Aspekt im system.

  2. Sehr guter Beitrag, danke. Vor allem die Konkurrenz zu den News habe ich bisher so noch gar nicht gesehen.
    Kann man nur hoffen, dass Twitter das Spam-Account-Problem in den Griff bekommt. Wobei man dort nach meinen Beobachtungen in letzter Zeit schon deutlich besser und schneller dagegen vorgehen kann.
    Und es wird ein heißer Kampf um echte Retweet-Follower entbrennen. Eieiei, ich seh eine Gewinnspiel-Lawine auf uns zurollen 🙂
    Gruß, Martin

  3. @Pascal @Mißfeldt: Google könnte sicherlich viele Elemente aus dem Google News Algorithmus übernehmen, um daraus einen Twitter Algorithmus zu entwickeln. Ziel wäre es, die aktuellsten News aus den vertrauenswürdigsten Quellen zu identifizieren, die zudem noch gute Klickraten erzeugen. Bin auf die Umsetzung und die Beeinflussungsmöglichkeiten jedenfalls sehr gespannt. Falls Twitter ein Bestandteil der Universal Search werden sollte, wird es ein großes Spiel.

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